Stopp die Zeit und konsumiere in Zeiten von Corona

Hallo, ich bin zurück!

„Stop de tijd en konsumeere.“ Diesen Spruch hat mein Kommilitone Ruud immer gesagt, wenn wir nach der Arbeit im Atelier Billard spielen gingen. Übersetzt: “Stopp die Zeit und konsumiere“.

Die Zeit ist gestoppt aber konsumieren ist nicht mehr. Und wenn, hat sich der Fokus auf die Konsumgüter verändert. Toilettenpapier und haltbare Lebensmittel sind das neue Must Have. Da steht man vor den Regalen der Supermärkte und weiß plötzlich wie es in der DDR gewesen sein muss. Obwohl, irgendwie spinnen doch alle. Frische Ware gibt es ausreichend und den Hintern kann man sich auch mit Wasser abwaschen.

Was machen die Leute denn mit so viel Klopapier? Kochen sie es? Essen sie es? Auf jeden Fall ist Klopapier das neue Gold. Sollte man sein Geld doch in Klopapieraktien anlegen? Diejenigen, die es getan haben, können Gewinner der Krise sein, so lange sie den Virus überleben.

“ Zeitgenössische Schaufensterdeco“ des Ballettshop.Berlin in Charlottenburg

Es weht ein eisiger Wind. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen versuche ich mich vor der Kälte zu schützen. Unter normalen Umständen bliebe ich im Haus oder im Atelier.  Doch die Umstände sind nicht normal. Die Welt ist im Ausnahmezustand. Deshalb gehen wir jeden Tag mindestens 2 Stunden raus an die Luft, um fit zu bleiben.  Plötzlich zieht es selbst die größten Stubenhocker, die Fitnessstudioselbstoptimierer an die Luft. Alles ist geschlossen. Diesmal nicht wegen Reichtum sondern wegen Corona. Wir können nur noch draußen an der frischen Luft mit 2 Meter Abstand zusammenkommen.

Nie sind so viele Menschen in Parks und im Wald unterwegs wie momentan. Als ob uns der letzte Atemzug bevor stünde, atmen wir die neue frische Luft um uns ein. Kein Kerosin, weniger CO2-Ausstoß. Die Luft ist gut, der Himmel stahlblau.

Wenn wir nicht mit dem Rad an der Havel entlang radeln, inspizieren wir an dem ersten grauen Tag, nach gefühlt mehreren Wochen der Kontaktsperre, die Stadt zu Fuß. Quer durch Charlottenburg bis zum Kudamm. Natürlich zeigt die Stadt sich von anderen Seiten, wenn der Blick in einen nie gesehenen Hinterhof möglich ist, weil man mal zu Fuß unterwegs ist, der Blick in eine Galerie, die man nie wahrgenommen hat und die Schaufenster und Supermarktregale, die nun leergeräumt ein neues Bewusstsein von Dasein erzeugen.

Gucci am Kurfürsten Damm. Leerer Store zu Coronazeiten
Foto: © Susanne Ophelia Beckmann
Bulgari Schaufenster am Kurfürsten Damm. Leere Vitrinen. Foto:
© Susanne Ophelia Beckmann

Es sind kaum noch Menschen in den Shoppingboulevards unterwegs. Es gibt ja auch nichts mehr zu schauen. Es gibt auch kein Gesehen und Gesehen Werden mehr. Statt Windowshopping geht die Bevölkerung nun in den Parks joggen, kauft die Supermärkte leer und konzentriert sich auf eine andere Weise als bisher auf sich selbst. Unsere Komfortzonen sind weggebrochen. Wir müssen uns neu aufstellen.

Auf sich selbst zurück geworfen

Ich höre den ganzen Tag Radio. Wenn es mir zu viel wird, schalte ich es ab und es wird still um mich herum. Kein Kindergeschrei vom Spielplatz, kein Autolärm, nur das Saxophonspiel unseres Nachbarn höre ich intensiver als sonst. Es gibt keinen Druck und kein Event, das ich verpassen könnte. Ich spüre eine seltene Ruhe, in mir und bin so zufrieden, wie lange nicht mehr. Denn ich bestimme jetzt die Zeit und das Geschehen um mich herum.

Ich fühle mich so privilegiert. Ich kann in mein Atelier zum Arbeiten. Ich kann schreiben.

Mir ist bewusst, dass nicht alle diesen Shutdown genießen können. Die Situation der Isolation ist eine Herausforderung, die wir so nicht kennen. Anerkennung von außen funktioniert momentan nur noch virtuell.

Es gibt außerdem genügend Menschen, die wirklich gebeutelt vor dem Aus stehen. Und das ist keine gute Zukunftsaussicht. Ich bin dafür, sie zu unterstützen. Ich bin dafür, dass wir bei kleinen Restaurants- und Cafes bestellen. Ich bin dafür beim Buchhändler nebenan Bücher zu kaufen und mit Gutscheinen z. B. von Helfen.Berlin.de betroffene Unternehmen zu unterstützen. Denn wenn unsere Lieblingsorte verschwinden, tauchen sie auch nicht mehr auf und das schöne turbulente, lebendige Leben in Berlin wäre über die Kontaktsperre hinaus verschwunden.

Ich inspiziere meinen Kleiderschrank und schaue, was ich upcyceln kann. Ich miste mein altes Atelier aus und renoviere es für meine Gäste. Ich kümmere mich um meine Pflanzen auf der Dachterrasse, für die ich nie Zeit hatte. Ich koche neue Rezepte und mache mir mit meinem Mann ein schönes Leben zu Hause. Denn eigentlich würden wir jetzt durch die Pyrenäen wandern. Ich telefoniere mit meiner Familie. Wir telefonieren zu viert mit Freunden und trinken Wein dazu.

Kochen in der Coronazeit. Hier geht es zum
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